Die bitter süße Verwirrtheit

Am Morgen schien die Sonne zum Fenster herein und als ich davon begann wach zu werden, fing ich auch sofort an zu grinsen. Heute sollte ein ganz besonderer Tag für mich sein, denn heute sollte ich eine alte Schulfreundin endlich wiedersehen.

Die bitter süße Verwirrtheit

Naja, eigentlich hatte ich sie schon vor ein paar Tagen wiedergesehen, aber das war nur eine zufällige Begegnung auf dem Wochenmarkt. Ich drehte mich um, weil mich jemand an die Schulter tippte und da stand Miriam. Ich konnte meinen Augen erst nicht glauben. Ich hatte sie bestimmt schon sieben Jahre nicht gesehen, aber auf den zweiten Blick erkannte ich sie. Sie erzählte, dass sie gerade erst wieder nach Lübeck zurück gezogen sei. Das Großstadtleben in München hatte sie allmählich satt und sehnte sich nach der Heimat, ihrer Familien und den alten Bekannten und Freunden. Lange Rede kurzer Sinn - heute wollten wir zusammen brunchen gehen.

Ich schwang mich also voller Vorfreude aus dem Bett, ins Badezimmer und unter die Dusche. Als nächstes war das Outfit dran, etwas schickes aber dennoch lockeres sollte es ein. Eine halbe Stunde später hatte ich endlich etwas passendes zurecht gelegt, was ich nachher anziehen könnte. Bevor es jedoch losgehen sollte, wollte ich noch schnell einen frisch gepressten Orangensaft trinken. Ich ging also im Bademantel in die Küche und presste ein paar Orangen aus.

Wie fast immer war natürlich der Mülleimer voll und ich musste ihn noch leeren. Ich schnappte mir die Tüte und rannte langsam etwas hektisch hin und her und anschließend aus der Tür zur Abfalltonne. Die Zeit war doch etwas fortgeschrittener als gedacht. Als ich wieder hineingehen gehen wollte, kam mir ein schrecklicher Gedanke. Ich hatte meinen Schlüssel auf der Anrichte liegen lassen. Oh Schreck. Was sollte ich nur tun? Panisch rannte ich um das Haus und suchte nach einem offenen Fenster...nichts. Ich musste einfach ins Haus kommen, denn so konnte ich mich nicht vor ihr blicken lassen. Brunch im Bademantel? Nein!

Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir. Es war meine Nachbarin. Sie guckte mich etwas verwundert an und fragte, warum ich wie wild im Bademantel ums Haus tanzte. Ich erklärte ihr kurz die Situation und sie begann zu lächeln, meine Verwirrtheit wegen Miriam schien sie zu amüsieren. Dann verschwand sie am Fenster und kehrte wenige Augenblicke später zurück, in ihrer Hand eine Visitenkarte vom Schlüsseldienst Schultz. Ich sah sie mit großen hoffnungsvollen Augen an und sie nahm wie selbstverständlich den Telefonhörer ab und wählte.

Gut eine Viertelstunde später kam auch schon jemand vom Schlüsseldienst und macht mir so schnell die Tür auf, dass ich nicht einmal mitbekommen habe, wir er das angestellt hat. In diesem Moment war mir das aber auch irgendwie egal, Hauptsache ich konnte endlich wieder in mein Haus. Eilig dankte ich dem Mann, zog mich an und rannte aus der Tür - dieses Mal mit Schlüssel. Meine Nachbarin stand wieder am Fenster, winkte mir und wünschte mir viel Glück.

Nach weiteren 30 Minuten war ich im Restaurant bei Miriam, total k.o. Ich erklärte ihr die Verspätung und schämte mich so sehr dafür. Aber dann begann Miriam genau so zu lächeln wie meine Nachbarin. Auch sie schien meine Verwirrtheit irgendwie sympathisch zu finden. Wir verabredeten uns daraufhin noch ein paar Mal und lernten uns besser kennen. Und was soll ich sagen? Heute wohnen wir schon fast fünf Jahre zusammen und jeden Tag, wenn ich das Haus verlasse, fragt sie mich mit einem süßen Grinsen, ob ich denn auch meinen Schlüssel dabei hätte.